Ein Ja(hr)


"Ich geh' ins Ausland, mache einen Freiwilligendienst."

"Ah ok, interessant. Wie lange?"

"Ein Jahr."

"Oh krass, ein ganzes Jahr?"

"Ja, ein Jahr."

"Kommst du mal nach Hause?"

"Nein, das ist nicht geplant."


365 Tage, 52 Wochen, 12 Monate.

Vor einigen Tagen bekommen wir eine Mail von Brot für die Welt, "Rückflugticket" heißt der allesaussagende Betreff.

Mein Jahr hat also auf einmal ein Ende, einen Tag, eine Minute, in der ich mich in einen Flieger Richtung Bangkok und von dort Richtung Frankfurt setze. Mit dieser Nachricht entsteht ein komisches und aufregendes Gefühl in mir. Es ist doch immer ganz nett gewesen über unser Rückflugdatum zu munkeln. Ist es noch im Juli oder Anfang August? Feier ich meinen Geburstag wieder zu Hause oder noch hier? Werden wir die brisante Parlamentswahl in Kambodscha noch miterleben?

Da ist ein Datum, auf was wir zugehen und es sei mal dahingestellt, ob das bald oder nicht bald ist, wird es zu diesem Datum kommen. Es ist diesem Tag auch ziemlich egal,  was ich bis dahin machen und ob ich eine schöne Zeit haben oder nicht.


"Ich geh' ins Ausland, mache einen Freiwilligendienst."

"Ah ok, interessant, wie lange?"

"Ein Jahr."

"Ach, so ein Jahr geht ganz schnell rum."

"Ja? Mal sehen."


Ich hab in letzter Zeit über zwei Dinge nachgedacht.

Erstens darüber, wie egal es der Zeit ist, ob ich sie als schnell oder langsam empfinde und jede Sekunde sich ungestört so viel Zeit nimmt, wie die vorherige. Aber irgendwie überlege ich mir ständig, ob diese zweieinhalb Monate jetzt eigentlich erst zweieinhalb Monate sind oder schon zweieinhalb Monate. Und ob die neuneinhalb, die noch kommen bis zum besagten Tag, eigentlich noch neuneinhalb Monate sind oder nur noch neuneinhalb. Mir wurde dann bewusst, dass das stark davon abhängt, in welchem Zusammenhang ich mich das frage. Wenn ich mir gerade überlege, was ich noch alles sehen, probieren und erleben will, können auch mal Sorgen aufkommen, das gar nicht mehr zu schaffen. Denke ich aber an das Stück Herz, das ich in Deutschland gelassen habe, ist es doch irgendwie noch eine ganze Weile bis zum Wiedersehen.

 

Die zitierten Gespräche aus Deutschland im Kopf, ständige Gedanken an Hinflug und Rückflug...mein Kopf ist fast geplatzt. Was denke ich denn nun? Ist ein Jahr lang oder kurz? 

 

Ich weiß es nicht und ich will mich auch nicht festlegen. Ich hatte insgesamt 18 ganze in meinem Leben, kann mich vielleicht gerade mal so an ein Dutzend Silvester erinnern und bestimme seit vielleicht 6 Jahren selber, wann ich ins Bett gehe. Und gerade, da stecke ich in meinem neunzehnten. Es ist für mich ein ganz besonderes Jahr und ich habe mir vorgenommen, dieses Jahr ganz bewusst zu leben. Heute ist heute und heute geht nicht schneller rum, als gestern, ist aber auch nicht länger als morgen und so habe ich an jedem Tag die gleiche Chance, das damit anzufangen, was ich möchte. Und statt die Zeit damit zu verschwenden mir zu überlegen, ob die 72 Tage hier jetzt schnell oder langsam rumgingen, blicke ich lieber zurück und sehe, was ich schon erlebt und gelernt habe und bin glücklich. Das waren zweieinhalb Monate, die ich mir nicht schneller oder langsamer wünschen könnte, weil sie gut waren, wie sie eben waren.  Das waren zweieinhalb Monate, in denen ich ankommen, mich eingewöhnen und so viel Neues sehen und lernen durfte.

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Kim (Montag, 30 Oktober 2017 22:37)

    <3

  • #2

    Vera (Sonntag, 03 Dezember 2017 11:42)

    Buddha sagt, es gibt zwei Tage, an denen man nichts ändern kann: gestern und heute... sehr schöner und zum Nachdenken anregender Text, meine Liebste! Drei Monate, egal ob lang oder kurz, in denen ich dich vermisst habe <3